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Journalismus erleben
Falschinformationen, mediale Nostalgie und mittendrin ein Escape Room: Die Wanderausstellung «Auf der Suche nach der Wahrheit – Wir und der Journalismus» im Kulturmuseum St.Gallen ist für alle Generationen lohnend.

Ende 1997 wurde die Tageszeitung «Die Ostschweiz» nach 123 Jahren eingestellt. Ihr Gebäude am Oberen Graben 8 in der St. Galler Innenstadt wurde vom St. Galler Tagblatt übernommen. Von 1998 bis 2018 war dort seine Stadtredaktion untergebracht. (Bild: Archiv Reto Voneschen)
Zum Beispiel die Pandemie. Die Medien waren für die Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Das Informationsbedürfnis während der Coronakrise war enorm und entsprechend breit war auch die Berichterstattung darüber: Die Medien lieferten Fakten, boten Einordnungen, Analysen und Hintergrundgeschichten, holten Stimmen von Fachleuten ein und beleuchteten das behördliche Vorgehen mehr oder weniger kritisch. Manches hätte sicher besser gelingen können, aber alles in allem stellte die Forschung den Schweizer Medien rückblickend ein gutes Zeugnis aus im Umgang mit Corona.
Neben der Relevanz der Medien hat sich während der Pandemie aber auch gezeigt, wie verheerend Desinformation und Fake News für eine Gesellschaft sein können. Verschwörungserzählungen und Falschinformationen, vor allem auf den sozialen Plattformen, in den sogenannten Alternativmedien und Chats wie Telegram, haben sich rasant verbreitet und sind auch ins reale Leben geschwappt. Dieses Phänomen ist nicht neu, aber es nimmt ständig zu.
Das hat – nicht nur, aber auch – mit mangelnder Medienkompetenz zu tun. Wir drohen in der Informationsflut unterzugehen, Herkunft und Glaubwürdigkeit von News sind oft fragwürdig oder ungewiss, Fakten und Fake News schwer zu unterscheiden. Zudem haben viele gar keine richtige Vorstellung oder ein falsches Bild davon, wie Journalist:innen arbeiten. Die partizipative Ausstellung «Auf der Suche nach der Wahrheit – Wir und der Journalismus» im St.Galler Kulturmuseum greift diese Themen spielerisch auf und zeigt, wie essenziell der Journalismus für die Meinungsbildung ist. Und sie will Anhaltspunkte bieten, um sich im Informationsdschungel besser zurecht zu finden.
Hat der Burger-Meister ein Kakerlakenprobelm?
Zuerst wird eingecheckt, ohne Badge läuft gar nichts. Hier wird nicht einfach konsumiert wie im Internet oder beim Zeitunglesen in der Beiz, nein, hier sind die Besucher:innen selber gefordert. Verschiedene Stationen mit Verständnisfragen, einem Quiz und anderen Aufgaben führen durch die farbenfrohe Ausstellung. Je nach erreichter Punktzahl erhält man am Schluss einen Presseausweis mit dem Titel einer Chefredaktorin, einer freien Mitarbeiterin oder einer Praktikantin.

Zeitungmachen in der vordigitalen Welt: Ein Redaktor und ein Setzer der Tageszeitung «Die Ostschweiz» im Gespräch, 1974. (Bild: Stadtarchiv der Stadt St.Gallen)
Einen Stopp wert sind definitiv die beiden «Burger Games» an der Station «Facts & Fake News». Bei einem gilt es, nicht auf Fake News hereinzufallen, beim anderen darf man als Bösewicht:in selber Falschinformationen und Verschwörungserzählungen über die Konkurrenz verbreiten – eine ziemlich spassige Sache. Wer es seriöser will, kann an diesem Posten auch die Quiz-Variante wählen und das eigene Medienwissen testen.
Wie relevant der Journalismus für die Meinungsbildung und die Demokratie ist, zeigt die Station «Medien und Gesellschaft – Was die Schweiz bewegte». Hier werden zehn Ereignisse aus den vergangenen 60 Jahren aufgegriffen, die den politischen und gesellschaftlichen Diskurs geprägt haben, darunter der Kampf um das Frauenstimmrecht, die Schwarzenbach-Initiative, die Besetzung des AKW Kaiseraugst, die Fichenaffäre oder auch jüngere Ereignisse wie die Panama Papers und Putins Kriegsverbrechen in Butscha. An diesen Beispielen zeigt sich eindrücklich die Macht der Medien, im Guten wie im Schlechten, aber auch der andauernde Kampf um die Deutungshoheit.
Was wurde am Telefon wirklich gesagt?
Zurücklehnen kann man sich an der Station «Geschichten – der Blick der Journalist:innen». Hier stehen 16 Kurzfilme zur Auswahl, in denen Medienschaffende von ihren Erfahrungen und ihrem Beruf erzählen. Von Niklaus Meienberg und Margrit Sprecher über die Affäre Kopp bis zu den Swiss Leaks und der Rolle der Frauen im Journalismus ist alles dabei. Entstanden sind die Interviews im Rahmen eines Oral-History-Projekts des Vereins Journalistory, welcher die Wanderausstellung auch konzipiert und umgesetzt hat.
Das Herzstück ist der Escape Room im Stil der frühen 90er-Jahre – nicht der erste in diesem Haus, übrigens: Bereits im Oktober 2021 gab es im Kulturmuseum (damals noch Historisches und Völkerkundemuseum) im Rahmen der Ausstellung «Mittelalter am Bodensee» eine solche Kammer. Damals mussten die Besucher:innen mehrere Rätsel um die Geschichte eines Salzdiebs, einer Hebamme und eines Baders lösen, um wieder herauszukommen. Diesmal gilt es, eine Geschichte, angelehnt an die Kopp-Affäre, zu recherchieren und den «Scoop» unter Zeitdruck zu publizieren. Dabei müssen die Neo-Journis einerseits Hinweise und Fakten checken und andererseits auch entscheiden, ob und in welcher Form ihr Artikel den journalistischen Standards entspricht.
Noch weiter in die Vergangenheit geht es in der «Wunderkammer» und in der «St.Galler Arena». Dieser Teil der Ausstellung wandert nicht mit und wurde exklusiv vom Kulturmuseum konzipiert. Die Arena fungiert als eine Art Diskussionsforum – Schulklassen sind hier sehr willkommen. Per Beamer geht es auf einen historischen Rundgang durch die Medienstadt St.Gallen, ausserdem sind an den Stühlen diverse Zeitungsmeldungen von Ereignissen zu entdecken, die den medialen Diskurs in der Region geprägt haben, angefangen bei der Stadtheiligen Wiborada über Darwins Lehren in Rorschach bis zu den sogenannten «Osterkrawallen» 2021.
Und die Herausforderungen heute?
Eine kurzweilige und unterhaltsame Ausstellung. Nicht zuletzt, weil das Publikum selber mitwirken kann. Für Medienkonsument:innen, egal ob alt oder jung, bietet sie einen lehrreichen Einblick in die Welt des Journalismus, insbesondere des Print-Journalismus. Und auch für die Medienschaffenden selber ist sie reizvoll, vor allem die historischen Teile, wir guseln ja nur allzu gerne in der vermeintlich glorreichen Vergangenheit der eigenen Branche.
Auf der Siuche nach der Wahrheit – Wir und der Journmalismus:
bis 2. Juli, Kulturmuseum St.Gallen
Es gibt aber auch blinde Flecken, gerade im Hinblick auf den Aufklärungsanspruch der Ausstellung. Der Fokus im Kulturmuseum liegt auf den privaten, gewinnorientierten Medien. Das System des Service public, also der öffentlich-rechtlichen Medien, die einen breiteren gesellschaftlichen Auftrag haben, wird nicht ausgeleuchtet. Auch die Arbeit der Agenturen geht unter. Sie spielen ebenfalls eine Rolle bei der Informationsversorgung der Bevölkerung.
Da die Ausstellung explizit auch Jugendliche ansprechen soll, hätte ihr nebst den schön aufbereiteten, aber teils recht nostalgischen Rückblicken auch etwas mehr zeitgenössischer Kontext gutgetan. Damit sind nicht TikTok-Videos oder YouTube-Dokus gemeint, obwohl auch diese eine journalistische Funktion erfüllen können, sondern ganz banal die Realitäten, mit denen die Medienschaffenden und Redaktionen heute konfrontiert sind: Zeitdruck, Klickdruck, Gelddruck. Denn Medienkompetenz hat auch mit dem Wissen um strukturelle Rahmenbedingungen und aktuelle Herausforderungen der Branche zu tun.
Manches davon wird im Zusatzmaterial und im pädagogischen Dossier thematisiert, das der Verein Journalistory auf seiner Webseite samt Videoportal zur Verfügung stellt. Ob sich das Ausstellungspublikum hier auch noch reinwühlen mag, sei dahingestellt. Auch wie viele Schulklassen den Weg ins Kulturmuseum finden, ist offen. Hoffentlich viele. Leider kämpfen die Lehrer:innen mit ähnlichen Problemen wie wir Journalist:innen, auch bei ihnen sind Zeit und Geld knapp.
Falls sie die Ausstellung dennoch besuchen, wäre es interessant zu erfahren, welche Zukunftsszenarien ihre Klassen für den Journalismus sehen. Ich würde sie zum Beispiel gerne fragen: Welche News sind für euch relevant? Wie müssten News und Hintergründe für eure Bedürfnisse aufbereitet sein? Wie sollen Medien allgemein finanziert sein? Unter welchen Bedingungen wärt ihr bereit, wie viel zu zahlen? Sind soziale Medien demokratierelevant? Und wie würdet ihr die Medienkompetenz der Erwachsenen fördern?