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Pfauengässli: Doch kein Abbruch auf Vorrat
Ende 2023 gab es einen politischen Wirbel um den Abbruch des Hauses Pfauengässli 2 auf dem Platztorareal. Jetzt gibt es gute Nachrichten: Die Wohnbaugenossenschaft St.Gallen hat das Gebäude übernommen – die Mieter:innen können zu bisherigen Bedingungen bis 2028 bleiben.

Das Wohnhaus Pfauengässlein 4 bleibt bis 2028 vom Abbruch verschont. (Bild: co)
Am Platztor, am Rand der St.Galler Altstadt, will die Universität ihren neuen Campus bauen. Noch stehen dort aber Gebäude, die der Universität später weichen müssen: die Offene Kirche, das Haus Böcklinstrasse 4 und die beiden Häuser Pfauengässlein 2 und 4. Die Böcklinstrasse 4 steht bereits leer und die Stadt hat dafür ein Abbruchgesuch eingereicht. Auch das Jugendstilhaus Pfauengässli 2 mit vier Wohnungen wollte die Stadt abbrechen, während die Offene Kirche und das Pfauengässli 4 vorerst stehen bleiben.
Doch dann meldeten sich die Bewohner:innen des Pfauengässlis 2 zu Wort und SP-Stadtparlamentsmitglieder kritisierten in einem Vorstoss den «Abbruch auf Vorrat». Die erste Antwort des Stadtrates war noch klar: Seit 2012 wisse man, gestützt auf ein Gutachten, dass der bauliche Zustand schlecht sei und sich Reparaturen für die Zeit bis zum Baubeginn des Campus nicht mehr lohnten. Es gebe keine Alternative zum Abbruch und auch auf eine «Zusammenarbeit mit Genossenschaften muss zum jetzigen Zeitpunkt abgesehen werden», hiess es in der Antwort auf die Einfache Anfrage. Auf einem Teil des Areals könne man danach vorübergehend Parkplätze einrichten und es seien auch andere Zwischennutzungen möglich. Allerdings nur solche, die keine hohen Investitionen nach sich zögen. Ausserdem habe die Stadt vom Kanton «einen adäquaten Ersatz der Mietzinsausfälle gefordert».
Die Stadt hat ihre Meinung geändert
Der auf den Frühling 2024 angekündigte Abbruchtrax fuhr jedoch bis heute nicht vor. Das ist dem Ostschweizer Verband der Wohnbaugenossenschaften und dessen Geschäftsführer, Jacques Michel Conrad, zu verdanken. Er habe die losgetretene Kontroverse um diesen Abbruch verfolgt und zuerst abgewartet, «bis sich die emotional geführten Diskussionen etwas beruhigt hatten», sagt er. Und weil ihm wichtig sei, «dass die Genossenschaften für die Stadt ein zuverlässiger Partner in Wohnungsfragen sind», habe er schliesslich die Stadt angefragt, ob sie sich – entgegen der damaligen Antwort auf die Einfache Anfrage – nicht doch vorstellen könne, das Haus einer Genossenschaft zur Nutzung zu überlassen anstatt es abzubrechen. Mit zwei Bauträgern – Hausen und Wohnen sowie der Wohnbaugenossenschaft St.Gallen (WBG) – war Conrad in Kontakt. Beide waren zuerst bereit, das Haus bis zum Baubeginn des Uni-Campus zu übernehmen.
Die Stadt habe dann ihrerseits sehr rasch signalisiert, dass sie doch zu einer Übergabe an eine Genossenschaft bereit sei. Inzwischen hat die Wohnbaugenossenschaft St.Gallen (WBG) das Haus übernommen. Sie hat den Bewohner:innen gleichbleibende Mieten zugesagt, im Gegenzug haben sie sich bereit erklärt, das Haus zum aktuell vorgesehen Termin des Campus-Baubeginns, also Ende 2028, zu verlassen.
Genossenschaften sind flexibler
Raffael Jakob, der seitens der WBG St.Gallen die Verhandlungen mit der Stadt und den Bewohner:innen führte, erklärt, warum eine grosse Genossenschaft mit solchen Liegenschaften anders umgehen kann als die Stadt. Wenn Gutachten aufzeigten, dass aufgrund der üblichen Lebensdauertabellen zum Beispiel das Dach schon vor über zehn Jahren abgeschrieben war und hätte totalsaniert werden müssen, habe die Stadt keinen Handlungsspielraum. In einem solchen Fall sei bei einer Abbruchliegenschaft ein Unterhaltstopp der logische Schritt. «Als Genossenschaft sind wir aber flexibler», sagt Jakob. Zwar habe auch der eigene Architekt Schwachstellen am Haus festgestellt, doch die WBG gehe davon aus, dass man auf allenfalls auftauchende Probleme flexibel reagieren könne.
Mit dem Nutzungsvertrag kann die WBG St.Gallen nun die Mieten kassieren, sie trägt aber auch das Risiko, falls es reinregnet oder die Heizung aussteigt. Die Stadt hingegen trägt kein Risiko mehr und sie muss sich nicht länger dem Vorwurf aussetzen, Wohnraum auf Vorrat abzubrechen.
Um die bereits leerstehende Gebäude Böcklinstrasse 4 haben sich die Genossenschaften nicht beworben. Es soll demnächst abgebrochen werden. Die Abbruchkosten übernimmt der Kanton. Ein grosser Teil des Areals für den künftigen Uni-Campus gehört nach wie vor der Stadt. Eine Übertragung an den Kanton ist zwar abgemacht, wurde aber schon zweimal verschoben und ist aktuell auf 2028 vorgesehen. Die Verzögerung liegt auch daran, dass der erste Architekturwettbewerb in eine Sackgasse führte und nun der zweite Wettbewerb gestartet wurde.
Es tönt nach einer guten Lösung, die in letzter Minute dank der Offenheit und Flexibilität einer Wohnbaugenossenschaft gefunden wurde. Als städtischer wie kantonaler Steuerzahler kann man nur sagen: Danke an all jene, die zu dieser konstruktiven Lösung beigetragen haben. Und danke auch an all jene, die sich trotz der anfänglich ziemlich sturen Haltung der Stadt nicht abschrecken liessen, eine solche Lösung zu versuchen.
Eine weitere von der Stadt als Eigentümerin zu rasch vernachlässigte, zwar einfache, aber gut bewohnbare Abbruchliegenschaft mit tiefen Mieten kann so mindestens drei Jahre länger genutzt werden. Das ist eine soziale, aber auch eine nachhaltige Lösung. Und Nachhaltigkeit ist doch das Schlagwort, dass der Stadtrat (und die Verwaltung hinter ihm) gerne auf den Lippen führt. Um es beim eigenen Handeln ab und zu sehr rasch zu vergessen (oder aus Bequemlichkeit unter den Tisch fallen zu lassen?). Weil wir alte Abbruchhäuser ja schon immer rasch in oberirdische Parkplatz-Providurien verwandelt haben? Auch wenn das der aktuellen Verkehrspolitik krass widerspricht…
Man kann nur hoffen, dass der Stadtrat aus dem Fall lernt und das nächste Mal die von der Bauverwaltung präsentierte fantasielose Musterlösung aus dem Schulbüchlein kritisch hinterfragt und nicht einfach bedingungslos übernimmt und auch noch gegen Parlamentsmitglieder verteidigt. Eine wichtige Lehre ist auch, dass eine Wohnbaugenossenschaft, deren Rechnung am Schluss zwar aufgehen, die aber nicht auf Biegen und Brechen aufs Profitdenken ihrer Investor:innen Rücksicht nehmen muss, Spielraum für kreative Lösungen auf dem Immobilienmarkt hat. Das sollte man gerade auch für jene Fälle im Hinterkopf behalten, in denen es um die Vergabe von öffentlichem Bauland für Wohnungsbau geht (wie etwa irgendwann in der Zukunft an der Ruckhalde).