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Verliert Raggenbass seine Strasse?
Ein Leben, zwei Versionen: War der Schweizer Otto Raggenbass, Statthalter von Kreuzlingen, der «Retter von Konstanz»? Oder ein Fremdenfeind und Judenhasser? Der Konstanzer Gemeinderat könnte bald eine Umbenennung der nach ihm benannten Strasse beschliessen. Von Urs Oskar Keller

Die umstrittene Strasse in Konstanz (Bild: Urs-Oskar Keller)
Über den Thurgauer Otto Raggenbass (1905–1965) und seine Verwicklungen mit dem Nationalsozialismus berichtet der Konstanzer Historiker Dr. Arnulf Moser schon viele Jahre. Er kommt zum Schluss, der frühere Bezirksstatthalter in Kreuzlingen und selbsternannte «Retter von Konstanz» habe jüdische Flüchtlinge zurückgeschickt, jüdische Schulkinder aus Konstanz zurückgewiesen, Fluchthelfer bestraft und Entlassung von deutschen Grenzgängern empfohlen.
Solange die Archive in Frankreich noch nicht frei sind, lasse sich jedoch keine definitive Aussage zum Fall Raggenbass machen, wird kritisiert. «Herr Moser hat ja nur einen kleinen Aspekt herausgenommen. Vieles ist ungenau. Er ist sicher ein Kenner der Sache, das habe ich bei einem Vortrag im Rosengartenmuseum von ihm auch öffentlich gesagt», erklärte Otto Raggenbass‘ Sohn, der Pfarrer und Jurist Thomas Niklas Raggenbass, schon länger. Eine Anfrage für eine Stellungnahme bei seiner Tochter Dorena Raggenbass, noch bis 2023 parteilose Stadträtin (Departement Gesellschaft) in Kreuzlingen, blieb unbeantwortet.
Strassennamen mit erhöhtem Diskussionsbedarf
In Konstanz gibt es über 650 Strassen, darunter immer noch auch solche mit «erhöhtem Diskussionsbedarf». Sie sind nach Antisemiten, Rassisten und Nationalsozialisten benannt. Nach Jahren des Stillstands kommt endlich Bewegung in die Diskussion: Am Donnerstag, 24. November, berät und beschliesst der Konstanzer Gemeinderat im grossen Bodenseeforum am Seerhein in Konstanz über sechs Strassennamen.
Bei der Otto-Raggenbass-Strasse, der Conrad-Gröber-Strasse, der Hindenburg-Strasse, der Franz-Knapp-Passage, der Werner-Sombart-Strasse sowie der Felix-Wankel-Strasse wurden die Voraussetzungen für eine Umbenennung durch die Experten grundsätzlich bejaht. Eine solche geschieht nicht sehr oft, 2010 beispielsweise wechselte der Wilhelm-von-Scholz-Weg den Namen zu Zur Therme.
Gibt es Widerstand aus der Bevölkerung?
Der Sitzungsort lässt darauf schliessen, dass man mit vielen Zuhörer:innen aus den betroffenen Strassen rechnet. Insider vermuten allerdings, dass es wenige Umbenennungen geben wird, sondern eher Erklärtafeln unter dem Strassenschild, welche die jeweilige Person öffentlich einordnen würden. Ansonsten sei mit grossen Protesten der Anwohner zu rechnen, die bei einer Umbenennung alle ihre Unterlagen ändern müssten. Moser: «Vielleicht melden sich Betroffene und machen Druck, dass sich nichts ändert.»
Das hatte man in Konstanz schon einmal bei der gescheiterten Umbenennung der Strasse für General Emmich (Überfall auf Belgien 1914). Betroffen sind aber auch Namen von Strassen, in denen praktisch niemand wohnt, beispielsweise in der Franz-Knapp-Passage beim Rathaus oder an der Felix-Wankel-Strasse, wo der Sitz der Bundespolizei ist.
«Ins Visier linker Kreise geraten»
Urs Ehrbar, ehemaliger Berufsoffizier und Vizepräsident des Vereins Festungsgürtel Kreuzlingen, hat eine andere Meinung zu Raggenbass, der während seiner Schulzeit Statthalter in Kreuzlingen war. Er habe Raggenbass in dieser Funktion gekannt, aber leider nicht persönlich, sagt Ehrbar, der in Ermatingen wohnt. «Leider ist Otto Raggenbass ins Visier linker Kreise geraten, die sein Andenken auslöschen wollen.»
In einem gewissen Alter sollte man aber gemerkt haben, dass die Welt nicht schwarz und weiss sei, sondern dass es auch Grautöne gebe, kritisiert Ehrbar. «Das gilt auch in der Beurteilung von Otto Raggenbass. Hoffentlich behalten am Donnerstag Vernunft und Respekt die Oberhand!» Raggenbass sei zwar ein Selbstdarsteller gewesen, doch er habe zweifellos Verdienste um die Rettung von Konstanz gehabt.
Update vom 24. November:
Der Konstanzer Gemeinderat hat die Umbenennung von Strassen am Donnerstag, 24. November, kurzfristig von der Tagesordnung genommen. Es bestehe noch Klärungsbedarf, hiess es in einer Mitteilung der Stadt. Eine Anfrage bei der Stadt über die genaueren Gründe blieb unbeantwortet. Wir bleiben dran.
Danke für diese Info! Mein Vater hielt sich zwar einst in seinem Urteil zurück, aber gerade das war für mich klar, Raggenbass zwielichtig. Raffael Wieler