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Würmer, Säfte und Augen
Oliver Daume über das Erstlingswerk «Eraserhead» von David Lynch. Takino Schaan. Dienstag, 12. Juni, 20.30 Uhr. Es ist dieser Heizkörper um den sich alles dreht. Was steckt da bloss hinter diesem Heizkörper? Ich Henry Spencer kann mir nicht erklären wie eine Puppe da hinkommen kann. Wieso sollte jemand eine Puppe zwischen die Wand und den […]

Oliver Daume über das Erstlingswerk «Eraserhead» von David Lynch.
Takino Schaan. Dienstag, 12. Juni, 20.30 Uhr.
Es ist dieser Heizkörper um den sich alles dreht. Was steckt da bloss hinter diesem Heizkörper? Ich Henry Spencer kann mir nicht erklären wie eine Puppe da hinkommen kann. Wieso sollte jemand eine Puppe zwischen die Wand und den Heizkörper meiner Wohnung klemmen? Zudem bin ich mir gar nicht sicher, ob es wirklich eine Puppe ist. Jedenfalls ist es meine Lieblingsbeschäftigung mich abends auf mein Bett zu legen und mir den Heizkörper anzuschauen. Ich bin überzeugt, dass sich diese Apparatur eines Tages öffnen und mir mehr über mich und mein Leben verraten wird.
Und so kommt es dann auch. Eines Tages öffnet sich die Wand hinter dem Heizkörper und die geballte Wucht von Henrys Unterbewusstsein kommt ihm entgegen. Der Gute hat eine Menge auf dem Kerbholz. Inzest, Untreue, Mord und Abtreibung. Henry hat mittlerweile gelernt dies alles zu kaschieren. Bei der Arbeit wird er sehr geschätzt und auch seine Nachbarn im Industrieviertel mögen ihn sehr. Man möchte Henry am liebsten in den Arm nehmen. Sein Wuschelkopf und seine treuherzigen Augen machen ihn sanft und gutmütig. Alles nicht so schlimm – wenn da eben diese Dinge nicht wären.
Aber seien wir ehrlich. So ein schreiendes Kind ist auch nicht ganz einfach. Während seine Freundin schon völlig entnervt zu ihrer Mutter gezogen ist, verbringt Henry die Nächte mit dem Kind allein. Es ist ja nicht so, dass er nicht versucht hätte nett zu sein. Aber zu viel ist zu viel. Den Fiebermesser hat er gesucht und diesem schreienden Spanferkel in den Mund gesteckt. Ja sogar heilende Dämpfe hat er zusammengebraut und dem Kind unter die völlig verwurmte Nase gehalten. Alles zum Wohle des Kindes. Aber zu viel ist zu viel. Dieses Kind kann nicht von mir stammen, murmelt Henry. «Dieses verdammte Kind ist von einem anderen Mann!»
Was sich da hinter dem Heizkörper aufgetan hat, war dann auch alles andere als lustig. Für Henry wird aber endlich klar warum er jede Nacht schlecht träumt. Diese ganzen Würmer und Viecher und Säfte und Augen. Sie sind alle wieder da. Sie sprechen eine eindeutige Sprache und Henry versteht. «Ich muss mein Leben ändern». Die Kreaturen aus seinen Träumen haben es rübergeschafft in die Wirklichkeit und weisen ihm den Weg. Sie werden nie mehr in seine Träume zurückkehren. Sie bleiben jetzt bei ihm. Ganz.
Doch eines noch zum Schluss. Es gibt da dieses eine Porträtbild von Henry. Sie wissen schon. Dieses eine ganz berühmte. Er mit angespanntem Ausdruck. Und um ihn herum diese Flocken. Ich dachte immer es wären Schuppen oder irgendein Puder. Heute weiss ich, dass das nicht stimmt. Aber was es genau ist, kann ich leider immer noch nicht sagen. David Lynch, 1977. David Lynch, 2012. Was da alles dazwischen liegt und warum da alles dazwischen liegt, ist unwichtig. Wann hören wir endlich auf Lynchs Filme verstehen zu wollen? Seine Filme machen irgendwas mit uns. Wir merken, dass da irgendwas nicht stimmt mit unseren Leben. Dieses Unbehagen reicht doch.